Die wollen doch nur spielen?

„Duschen Sie vor dem Messetag und tragen Sie ein Deo auf“. Dies war einer der unerlässlichen Hinweise für den Messebesuch der Gamescom auf der Onlineseite des Computer-Magazins „Chip“. Für meinen ersten Besuch auf der Gamescom in Köln wollte ich alles richtig machen, so stieß ich bei der Vorbereitung meines Besuchs im Internet auf diesen Hinweis. Obwohl er mich dann doch eher beunruhigte, als das Gegenteil zu bewirken.

In der Nacht von Freitag auf Samstag fand ich kaum in den Schlaf, stellte ich mir die Horden von wilden Ego-Shooter begeisterten Jugendlichen vor, die nur einmal im Jahr ihre abgedunkelten Kinderzimmer verlassen, um in Köln nichts anderes zu machen, als hemmungslos herumzuballern und sicher nicht an die Benutzung von Deodorant dachten.

Im überfüllten Zug auf dem Weg zur Köln-Messe legte sich meine Anspannung etwas. Eingequetscht zwischen fröhlichen jungen Menschen, zwischen 16 und 28 Jahren, fand ich mich schnell in anregenden Gesprächen mit angehenden Medienpädagogen und Kulturwissenschaftlern wieder, die nur durch das Klicken von Tupperdosenverschlüssen unterbrochen wurden. Ab und zu ein Gesprächsfetzen: „Ist der Käse auf deinem Leinsamenbrot laktosefrei? Dann kannst du mir gern ein Stück abgeben“.

In Empfang genommen wurde ich, nachdem ich den Zug verlassen hatte, von einer Musikgruppe, die mit bunten Kappen bekleidet, auf nicht elektronischen Instrumenten, klassische Musikstücke spielte. Ich war nun doch etwas verwirrt. War ich tatsächlich auf dem Weg zu Europas größter Spielemesse mit rund 360.000 Besuchern jährlich?

Bisher wurde keine meiner Erwartungen erfüllt. Keine Horden zu Boden blickender junger Menschen, in schwarzen Kapuzenpullis, die mit blassem Gesicht und Energydrink-Tremor, bereits auf dem Weg in die Messehalle ihren unsportlichen Körper vor dem Aufprall auf den Boden abhalten mussten. Kein Geraschel von asiatischen Nudelsuppen-Bechern, die in Rucksäcken klimperten. Niemand, der unangenehmen roch. Und es waren tatsächlich sehr viele Menschen unterwegs. Und nach schier unendlichen Kilometern durch Sicherheitsbereiche, Taschenkontrollen, Schleusen, deren Sinn ich nicht verstand, außer dem, dass sie der weitern Kontrolle zu dienen schienen und Ticket-Scannern, erreichte ich endlich die Messehallen.

Es tat schon ein wenig weh, sich so sehr gefangen und verstrickt in den eigenen Vorurteilen wieder zu finden. Allein schon, dass ich ernsthaft erwartet hatte, dass sich eine dieser lustig zu lesenden Aufzählungen, erfüllen würde, ließ mich vor mir selbst erschaudern. Denn tatsächlich verbrachte ich den Tag mit geselligen, freundlichen, höflichen, kommunikativen, gut angezogenen jungen Menschen. Ab und an bereicherten einige Cosplayer, gekleidet in liebe- und kunstvoll handgearbeiteten Kostüme ihrer Computerspiel-Helden oder Mangafiguren, die aufwendig gestaltete Szenerie von Nachbauten virtueller Welten.

Was mir besonders auffiel, war die entspannte und herzliche Atmosphäre und das lag nicht allein an den Menschen, die zu Free Hugs einluden. Menschen machten einander Platz, stellten sich geduldig in Schlangen an und erklärte geschult und mit detailliertem Fachwissen dem Gamescom Erstbesucher technische Details, die neusten Animationstechniken und Ausbildungsberufe in der Computerwelt.

Es lag kein Müll auf dem Boden, niemand brüllte laut und kein Schimpf- oder gar ein Hasswort fiel. Nach einiger Zeit traf ich auf eine Gruppe junger Männer, die in Tarnanzügen vor einem selbst gebauten Geländewagen für Fotoshoots posierten. War dies die medienwirksame neue Werbeaktion der Bundeswehr? Das lang gesuchte Haar in der digitalen Verdammnis? Ich fragte sie, welches Spiel sie vertreten und sie erklärte mir, dass sie draußen im Wald spielen. Der junge Mann wurde verlegen, als ich fragte, ob das denn etwas mit Schießen zu tun habe. Er nickte, erklärte aber sofort, es gehe vielmehr um den Teamgeist, den Zusammenhalt in der Gruppe und das Naturerlebnis. Ich ließ nicht locker. Erkundigte mich danach, wie sie miteinander kämpfen. Sie benutzen eine Art von Erbsen-Pistole, mit der sie aufeinander schießen. Das kannte ich aus den Erzählungen meiner Großeltern. Allerdings sagten sie, sie nehmen keine Erbsen, sondern Kugeln aus Maisstärke, die sich biologisch komplett abbauen, denn sie wollen keine Tiere gefährden, die im Wald Plastikteile verschlucken könnten.

Nun fühlte ich mich nicht mehr nur verwirrt und beschämt, sondern auch sehr schuldbewusst. In meiner Jugend dachte ich nicht einmal daran, was mein Müll im Wald anrichten könnte. Mir war nicht einmal bewusst, dass im Wald tatsächlich echte Tiere lebten. Aber gut, in meiner Jugend habe ich auch nicht viel Zeit im Wald verbracht. Außer ich wurde von meinen Eltern zu einem Spaziergang gezwungen.

Ich war eher der Typ, der mit der Miniflasche Wodka in der Manteltasche, eine Zigarette nach der anderen rauchend, und mit zur Sicherheit gefälschtem Schülerausweis, Abend für Abend an der Kinokasse des Programm-Kinos, für den Einlass in „Blue Velvet“ anstand, jenem Skandal-Film, in dem Dennis Hopper gefühlt jeden Satz mit f*** begann und beendete. Aber nach meinem Alter hat an der Kinokasse nie jemand gefragt.

Auf der Gamescom war dies anders. Jugendschutzbeauftragte mischten sich unter das Publikum und an den Spielplätzen wurden akribisch die Handgelenke untersucht. Nur gegen Vorlage von gültigen Ausweispapieren, bekam man entsprechend farbliche Bänder, die der jeweiligen Altersfreigabe entsprachen und so den Zugang zu den einzelnen Spielen ermöglichten.

Diese Spiele wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit in sogenannten Cubes gespielt. Schwarzen, großen Kästen, deren Eingang durch einen blickdichten Vorhang verhangen war und an dem mindestens zwei Kontrolleure aufpassten, dass sich niemand unrechtmäßig Zutritt verschafft und somit gefährdet. Die jungen Menschen warteten geduldig, meist auf faltbaren Papphockern, um Einlass in die Cubes zu bekommen, um dann…, ja, was eigentlich zu machen? Endlich die Waffen auszupacken, die Tupperdosen, Taschenkontrollen, rauchfreien Zonen hinter sich zu lassen? Anstand, Höflichkeit, Laktose- und Glutenunverträglichkeit für einen Augenblick zu vergessen? Eine virtuelle Waffe zu laden, um auf Aliens, Monster, Regeln, Vorschriften, Kontrollen, Zielsetzungen, Erwartungen, Studien-NC-Werte zu ballern?

Ich bin nicht in einen solchen Cube gegangen. Ich habe nicht einmal ein einziges Spiel gespielt. Ich habe mich treiben lassen in dem warmen und wohligen Strom selbstvergessener junger Menschen, die mir irgendwie immer auf der Suche schienen. Auf der Suche nach einer verbindenden Gemeinsamkeit, einem höheren Sinn, einem übergeordneten Zweck. Vielleicht besuche ich im nächsten Jahr einen dieser Cubes, um dem Mysterium auf die Spur zu kommen. Aber vielleicht müssen Erwachsene auch nicht jedes Mysterium, das die Jugend fasziniert, verstehen und sich zu eigen machen. Vielleicht muss es Jugend-Schutzzonen geben? Bereiche, die mit einem entsprechenden Hinweis: für Erwachsene, die schon alles wissen und gesehen haben und alle Antworten auf alle Fragen kennen verboten! gekennzeichnet sind. Ich werde darüber nachdenken. Auf jeden Fall werde ich auf meiner nächsten Gamescom einfach mal auf das Deo verzichten! Ein wenig Rebellion im nichtdigitalen Leben darf ruhig auch mal sein.

 

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