„Wo ist nur die Zeit geblieben?! Die Jahre, in denen wir O.C. Dad Peter Gallagher angeschmachtet haben, sind definitiv passé. Jetzt wünschen wir ihn uns eher als Opa.“ – (Gala-Online 6.8.2018)
Diesen Text las ich gestern, komplett Hitze erschöpft, auf meinem Bett liegend, und vor lauter Langeweile nicht wissend, wohin mit mir, in der Online-Ausgabe der Illustrierten Gala. Der Online-Artikel, mit den Fotos mehrere Stars im Vergleich „Früher und Heute“ hatte eine Überschrift, die in etwa lautete: „Stars im bad trip der Zeit“. Ich selbst kannte weder die Serie noch den erwähnten Schauspieler. Auf dem Foto, das von ihm abgebildet war, sah er nicht schlecht aus. Nicht verwahrlost oder ungepflegt, gesund und sogar einigermaßen entspannt und zufrieden. Ich googelte die Serie O.C. California und seine Rolle in ihr. Die Serie startete 2003 und lief bis 2007. Das ist elf Jahre, bzw. 15 Jahre her.
Ich fragte mich, wer ihn damals wohl angeschmachtet haben könnte und ob dieser jemand nach elf Jahren einfach nicht älter geworden ist? Ich für meinen Teil, sehe nicht mehr so aus wie ich vor elf Jahren im Jahr 2007 ausgesehen habe und ich sehe auch nicht so aus wie ich im Jahr 2003 ausgesehen habe. Und zum Glück, sehe ich nicht so aus wie mit 21. Da war ich grad zum ersten Mal Mutter und täglich höchst erschöpft und trug mit Vorliebe Oilily-Pullover zu Laura-Ashley-Hosen. Zudem fragte ich mich, warum wir ihn uns heute als Opa wünschen? Und ob man einen Opa nicht mehr anschmachten kann? Als meine Mutter Oma wurde, war sie 39 Jahre alt. Sie stand kurz vor ihrer zweiten Hochzeit. Sie befand sich in einer romantischen Hochphase. Aber vielleicht verstand ich die Aussage auf grund der Hitze nicht oder der Autor, die Autorin, hatte den Gedanken nicht wirklich durchdacht. Ich erinnerte mich an ein Erlebnis aus meinem Urlaub in Bayern. Ich sonnte mich im Liegestuhl in einem Natur-Schwimmbad und blätterte durch eine der Illustrierten, die dort kostenlos auslagen. Über dem Foto, einer in die Jahre gekommenen Schauspielerin, stand: Für ihr Alter sieht sie noch gut aus.
Wie sieht man denn in welchem Alter aus, fragte ich mich. Und Bedeutet gut so viel wie gesund und glücklich? Und wer definiert das „schlecht aussehen“? Gibt es einen Standard, der dies festlegt? Eine Tabelle mit einem Foto und einer Kriterienliste? Und darf man nie, wirklich nie, auch einmal schlecht aussehen? Muss man in jedem Alter eine gute Erscheinung abgeben? Mit 20, 40 und 60? Welches Bild haben wir in unseren Köpfen wie das ideale Alter auszusehen hat? Ich schaute mich im Schwimmbad um. Ich entdeckte eine Frau und versuchte zu schätzen wie alt sie sein könnte. Irgendetwas um 55 Jahre, nehme ich an. Sie hatte eine rundliche Figur, sogenannte Winkarme, laut Internetdefinition handelt es sich dabei um weiche, formlose und durchhängende Oberarme und graugesträhntes Haar.
Ich schaute in meine Illustrierte. Die dort abgebildete Prominente sah anders aus. Glatter, definierter und durchtrainierter, herausgeputzter und ausstaffierter und das selbst im Bikini. Aber so ein Promi hat es auch nicht leicht. Wird er ungeschminkt, mit Cellulite an den Oberschenkeln und herausgewachsenem, ungefärbtem Haaransatz abgelichtet, heißt es schnell, er sei verlassen worden, drogenabhängig, pleite oder befindet sich in einer ähnlich gelagerten Krise. Schaffte es der Promi nicht, dem gesellschaftlichen Druck standzuhalten und unterzieht sich einer Schönheitsoperation, geht ein Aufschrei durch die Presse mit dem Wortlaut: Was ist bloß mit ihrem/seinem Gesicht passiert? Als würde man das nicht wissen. Nicht jeder kann für sein Alter gut aussehen. Manch einer sieht für sein Alter eben schlecht aus. Und das ist völlig in Ordnung, denn man wird immer noch älter und kann später wieder viel besser aussehen. Nicht immer haben wir die Kraft und Zeit, uns um unsere äußere Erscheinung zu kümmern. Manchmal sind wie einfach erschöpft oder krank. Oder andere Dinge sind im Leben einfach wichtiger. Und dann bräuchten wir vielleicht einen Blick, der Dinge wahrnehmen kann, die über den äußeren Rand hinausgehen.
Die Frau im Freibad zum Beispiel. Plötzlich fing sie an zu lachen. Ein Strahlen breitete sich über ihr Gesicht aus. Ich sah ihren geschmackvollen Bikini. Ihre Fingernägel in schillernden Farben lackiert. Lässig schob sie die Sonnenbrille in ihr Haar und empfing ihren Lebensgefährten, Ehemann, Freund. Sie umarmten sich, sie lachten und küssten sich. Ein Hauch von St. Tropez wehnte durch die bayrische Provinz, ich roch ihr Kokossonnenöl und wurde glücklich. Die Frau strahlte eine bezaubernde Jugendlichkeit aus. Sie war sehr schön. Dadurch, dass sie sich bewegte, kein Foto auf einer Zeitungsseite war.
Aus dem Urlaub zurück in mein 33 Grad heißes Schlafzimmer, erreichten mich über die sozialen Medien Fotos von Heidi Klum. Sie zeigen sie in ihrem aktuellen Italien Urlaub, vorzugsweise im Wasser planschend. Heidi Klum sieht wunderbar aus. Neidlos muss man ihr zugestehen, dass sie eine perfekte Figur hat und wunderschönes Haar und auch ungeschminkt hat sie ein ganz tolles Gesicht. Und doch bleibt mein Blick nicht bei ihr und meine Aufmerksamkeit auch nicht. Heidi Klum sieht einfach immer genau so aus wie immer. Genau gleich. Mal ist sie ein wenig dünner, mal trägt sie ihr Haar kürzer oder blonder. Anhand von Bildern, kann ich nicht wissen, ob sich im Leben von Heidi Klum jemals etwas verändert. Ich kann es Heidi Klum nicht ansehen, dass sie vier Kinder auf die Welt gebracht hat. Ich kann keine Krisen oder Erfolge sehen, keine Reisen durch die Wüste ohne Sonnenschutz und keine durchweinten Nächte, krank vor Liebeskummer. Ich nehme an, dass es all dies auch in ihrem Leben gegeben haben könnte. Es dringt allerdings nicht nach außen. Es ist, als ob etwas Entscheidendes fehlen würde, ein wichtiges Puzzleteilchen. Als wäre die Essenz nicht sichtbar, das, was Leben ausmacht. Die persönliche Geschichte, ihre Geschichte. Der Fotograf Roger Ballen sagte in einem Interview: Das Unsichtbare sichtbar machen, das versuche er durch seine Arbeit.
Allein mit der Aussage: Sie sieht für ihr Alter aber noch gut aus, bauen wir doch eine Mauer, die verhindert, das Unsichtbare sichtbar werden zu lassen. Und Tag für Tag versuchen wir das Sichtbare unsichtbar zu machen. Wir färben unser graues Haar, überdecken unsere Falten und Augenringe und versuchen das, was uns ausmacht, zu verstecken. Das ist in Ordnung, denn Eitelkeit bedeutet auch, dass man sich Zeit für sich selbst nimmt, auf sich achtet, versucht, das Beste aus sich zu machen. Es hat etwas mit Selbstachtung und Selbstkontrolle zu tun. Aber ist es nicht schade, wenn die Individualität, die eigene Entwicklung und die persönliche Geschichte komplett verschwinden? Ist es nicht schade, ein ganzes Leben lang wie 20 auszusehen? Und besonders bedauerlich ist es natürlich, wenn man mit 20 einfach total schlecht ausgesehen hat. Ich freue mich auf die Schönheit, die das Leben noch für mich bereit hält und vielleicht finden sich Menschen, die mit mir genauso alt geworden sind, dass sie mich auch als Großmutter noch anschmachten könnten. Meine Oma hatte keine Probleme damit, Burt Lancaster ein Leben lang anzuhimmeln. „Was?“, fragte sie dann „ist doch ein schöner Mann!“ Immer.
Wow, so ein kluger Text und das bei 35°!!! Mein Kompliment.
Herzliche Grüsse Emma
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