Wenn man in diesen Tagen morgens aus dem Fenster schaut, kann man die Welt in dichte weiße Nebelschwaden gehüllt entdecken. Doch der Moment der Ruhe und Behaglichkeit ist ein flüchtiger. Unter dem Nebel spürt man bereits die Hysterie vibrieren. Denn man weiß nicht erst beim Betreten der Spielzeugabteilung eines beliebigen Kaufhauses, dass Ende Oktober eines der umstrittensten Feste des Jahres auf uns wartet: Halloween!
In diesem Jahr ist besondere Wachsamkeit geboten, wird der Grandseigneur des Horrors, Stephen King, 70 Jahre alt. Ihm zu Ehren gibt es gleich sieben Verfilmungen seiner Bücher, eine von ihnen die Neuauflage seines wohl berühmtesten Werkes „ES“.
Ich erinnere mich, wie ich im letzten Jahr in einen ähnlichen Nebel gehüllt, morgens auf dem Bahnsteig stand. Die Nachrichten über die Horror-Clowns noch frisch in den Ohren, sah ich mich unter den Mitwartenden um. Ihre Gesichter waren tief in Handydisplays getaucht. Ein Clown müsste schon sehr nahe kommen und sehr laut unter der Latexmaske brüllen, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Aber nicht nur, dass alle Welt sich vor dem erneuten Auftauchen der Horror-Clowns fürchtet, auch das eben beschriebene Betreten der Kaufhaus Spielzeugabteilung ruft bei einigen Menschen wahre Panikschübe hervor. Sieht es dort eher aus wie in der Gruppenumkleidekabine eines Zombiefilmsets.
Neben den Clowns verbreitet sich ein weiterer schauerlicher Trend in den sozialen Netzwerken und Kaufhausregalen: Flüssiglatex, zum Schminken von Wunden, die Menschen aussehen lassen, als hätten sie schlimmsten Angriffe durch Schnittwerkzeuge überlebt.
Warum, frage ich mich, liegt es zum Kaufen in den Regalen? Und warum können es einige Menschen kaum abwarten, sich in Kreaturen des Grauens zu verwandeln und andere fürchten sich bereits Wochen vor dem besagten Termin vor dem morgendlichen Verlassen des Hauses.
Bin ich in der Stadt unterwegs, lachen mir von Werbeplakaten Frauen und Männer entgegen, deren Fotos mindestens durch ein Bildbearbeitungsprogramm gelaufen sind. Schlage ich Boulevard-Magazine oder Frauenzeitschriften auf, scrolle ich durch die Timeline von Facebook oder Instagram, sehe ich all die perfekten Gesichter, die prallen Pos und glattgebügelte samtweiche Haut. Frauen, die mit 60 aussehen wie 30. Mein gesunder Menschenverstand und der Blick in den Spiegel sagen mir, dass dort nicht allein Photoshop wirksam wurde. Einige Menschen besuchen Schönheitschirurgen und jeder, der schon einmal mit einem Knochenbruch zu tun hatte weiß, welche Geräte bei der Richtung eines gebrochenen Knochens zum Einsatz kommen. Meist muten Sie an, als wären sie aus der Heimwerkerabteilung eines Baumarktes, oft sind Sie elektrisch angetrieben. Warum nur treibt uns der Anblick der bearbeiteten Körper und Gesichter, die Präsentation des Ergebnisses einer zuvor blutigen, und brachialen Prozedur, keine Gänsehaut über den Körper?
Warum verstecken wir unsere Unzulänglichkeiten, unseren Schmerz, unsere Verletzungen und Krankheiten unter einer dicken Schicht von Make-Up, ertragen es aber nicht, geschminkte Wunden und Verletzungen an Halloween zu sehen? Ist es nicht so, dass Stephen King uns auf den Seiten all seiner Werke zuzurufen scheint: Hey! Egal wie du es auch anstellst, es ist noch ein jeder gestorben. Sollten wir diese Botschaft nicht verinnerlichen und unseren hysterischen Blick darauf richten, die Zeit nicht mit Unwesentlichem zu vergeuden. Sollten wir es nicht mit dem Künstler Joseph Beuys halten, der aufrief: Zeige deine Wunde!
Ist eine Wunde denn nicht viel mehr ein Zeichen dafür, dass wir etwas überstanden, im besten Fall überlebt haben? Sollten wir uns nicht dagegen wehren, uns der Perfektion zu unterwerfen, nur um unserem Gegenüber die Fragilität des Menschseins und das Wissen um die eigene Sterblichkeit zu ersparen?
Kings neustes Werk heißt „Sleeping Beauties“. In dem Buch schreibt er über Frauen, die während ihres Schlafes in einen Kokon gehüllt sind. Werden sie geweckt, verwandeln sie sich in Bestien. Aber dieses Thema wirft ganz andere Fragen auf.