Als 14-jähriges Mädchen hatte ich viele Träume. Die Oscar-Verleihung, ein Literatur- Nobelpreis, Pulitzerpreis, ausverkaufte Vorstellungen am Broadway, Blitzlichtgewitter und Reichtum spielten dabei eine wiederkehrenden Rolle. Männer kamen in meinen Träumen so gut wie gar nicht vor, außer sie hielten eine Lobesrede über meine Genialität.
In der Zeit, in der meine Klassenkameradinnen über ihre Betten Poster hängten, auf denen zwei springende Delfine im Sonnenuntergang abgebildet waren und von ihren Hochzeitsvorbereitungen träumten, arbeitete ich an meiner Karriere als Berühmtheit. Tänzerin war eine Option. Ich nahm 3mal wöchentlich Tanz-Unterricht.
Da ich aber auch gerne Karriere als Schriftstellerin machen wollte, fielen meine Bemühungen bezüglich des regelmäßigen, engagierten Trainings eher etwas nachlässig aus. So nutzte ich eine Trainingsstunde auch gern einmal für einen Bummel durch die Geschäfte der Großstadt oder für einen Besuch in der Nachmittagsvorstellung im Kino.
Und so landete ich mehr aus Müßiggang an einem schönen herbstlichen Nachmittag im Brückstraßen-Kino in einer Vorstellung von „Dirty Dancing“. Draußen regnete es und „Dirty Dancing“ war als Tanzfilm angekündigt. Damit investierte ich quasi in meine Ausbildung als Tänzerin und schwänzte nicht wirklich den Unterricht. Dass es in „Dirty Dancing“ auch um Liebe ging, war mir nicht bewusst.
Mit einer Pappschachtel voll Popcorn saß ich im bequemen Plüschsitz eines sonst recht leeren Kinosaals. Und dann geschah es. Johnny erschien auf der Leinwand. Ich sah ihn und spürte seltsam wärmende Gefühle meinen Körper durchströmen. Auch wenn ich bereits schrieb, dass ich mich für Jungs nicht sonderlich interessierte, schwärmte ich doch mädchenhaft für einige Schauspieler. Kino interessierte mich ja schließlich auch. Der Oscar! So lag es nahe, in amerikanischen Blockbustern nach potentiellen Schauspielern Ausschau zu halten. So ergänzten sich meine rein beruflichen Ambitionen mit romantischen Vorstellungen, besetzte ich den männlichen Part meiner Filme mit Al Pacino oder Robert de Niro. Patrick Swayze würde niemals in dieses Rollenprofil passen. Und doch schaffte er es, mich im Laufe der Vorstellung reichlich zu verwirren. All die rhythmischen Bewegungen der Tänzer, die treibende Kraft der Musik, die Hebefiguren aus dem Wasser, nasser Stoff an Körpern, sehnsuchtsvolle Blicke. Dazu die Tatsache, dass nicht Johnny Frances „Baby“ nannte, sondern sie diesen Spitznamen von ihrem Vater bekommen hatte. Frances war kein „Baby“. Frances war eine Frau. Erst für Johnny und dann für sich selbst.
Dieses Bewusstsein, dass in einem „Baby“, einer Tochter, einem Teenager, auch eine Frau schlummern kann, erfuhr ich durch die Geschichte „Dirty Dancing“. Und das ist jetzt 30 Jahre her. Durch den Film erfuhr ich auch, dass zum Frausein nicht nur Tanzen, befreiendes Lachen bei Berührungen an der Innenseite des Armes und sicheres Landen auf ausgestreckten Männerarmen gehört, sondern das Frausein auch Verantwortung zu tragen bedeutet. Es bedeutet aufzupassen. Auf sich selbst, auf das, was ein Kerl mit einem machen kann. Ich weiß nicht, wie sehr ich die Tragik der Geschichte Pennys, die schwanger wurde, nicht geheiratet wurde, in existenzieller Not war und das Baby nicht behalten konnte, verstanden habe. Aber dass sie bei der stümperhaften Abtreibung des Babys fast gestorben wäre, das hat mich zutiefst berührt. Der Film zeigte mir zwei Seiten der Bedeutung Frau zu sein. Die unbeschwerte Zeit, die Leichtigkeit, die Freude am eigenen Körper, an der eigenen Sexualität. Auf der anderen Seite die Verantwortung, die immer ein Teil davon sein wird.
Ich unterhielt mich vor kurzem mit einer Freundin über den Film. Wir haben überlegt, ihn bei einem Mädelsabend gemeinsam zu schauen. Ich versuchte ihr zu erklären, was mich an dem Film besonders fasziniert. Und dann sagte sie, es war ein wenig wie das Erwachen der Mystik, als wir ihn vor 30 Jahren zum ersten Mal sahen. Das kann ich nur unterstreichen. Das Erwachen der eigenen weiblichen Mystik.
Patrick Swayze habe ich von diesem Tag an geliebt. Nicht als Traummann. Nicht in einer erotischen Weise. Er war der Mann, der mich bei der Hand genommen hatte und mir zeigte, dass ich mehr war als „Baby“. Dass auch in mir eine Frau, ein komplexes Wesen verborgen ist, und dass ich am Anfang stand, dieses Wesen zu erforschen und zu begreifen. Sein Tod im September 2009 hat mich tief berührt. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Freund verloren.
Heute aber denke ich liebevoll und freudig an ihn zurück. Besorge Knabberzeug, stelle den Sekt kalt und warte auf das Eintreffen meiner Freundin. Um noch einmal zu dem Moment zurückzukehren, an dem das Frausein seinen Anfang nahm.